Wir machen garnichts oder zu viel – Óskar Guðjónsson

Isländische Band ADHD Foto Spezi

Nojazz von der Insel

„Und was hörst du so?“
Die Frage haben wir alle schon öfter gestellt bekommen. Aber ist es nicht schade, gleich eine Kategorie aufmachen zu müssen? Eigentlich müsste man ja erst mal etwas zusammen hören …
ADHD ist eine Band aus Island, die sich augenblicklich jedem Schubladendenken entzieht. Das ist spitze! Denn so wurde sie ganz sie selbst. Das aktuelle Album „ADHD 6“ ist ein fulminanter Höhepunkt in der Entwicklung der Band.

Eine simple Nummerierung der einzelnen Alben. Wie bei Led Zeppelin. Mehr gibt es nicht. Keine Vulkannamen, die niemand in Europa aussprechen kann, nichts spezifisch Isländisches. Doch das sagt schon einiges über die vier Musiker aus. Zahlreiche Einflüsse aus ganz verschiedenen Genres verweben sie zu einem völlig eigenständigen Sound. Sie entwickeln intelligente, durchaus eingängige Melodien in einem zarten Minimalismus, der kontemplativ darauf hinarbeitet, wie ein Geysir von Zeit zu Zeit auszubrechen und alles auszuspucken, was sich im Inneren angesammelt hat. Gefühl mit Wucht und Nachdruck, was für eine Freude!

Cover ADHD6
Line-up: Óskar Guðjónsson (Saxophon), Ómar Guðjónsson (Gitarre, E-Bass), Davíð Þór Jónsson (Hammond B3, Klavier), Magnús Trygvason Eliassen (Schlagzeug), Ívari Ragnarssyni (Ton)

Die Melodien des sanften Saxophons, das gefühlvoll auf die Seele des Hörers einspielt, die Gitarre, die Akzente setzt, sich dabei aber nie in den Vordergrund spielt, die verzerrte, klanglich bearbeitete Hammond, die manchmal szenisch verstörend wirkt: Man bemerkt die stilistische Vielfalt jedes Einzelnen, aber hört den gemeinsamen eigenen Stil. Man bemerkt die persönliche Virtuosität, aber hört das große unteilbare Ganze, den kollektiven Sound. Vier Extremisten leben sich hier aus, aber sie tun dies ohne Protzerei.
ADHD entwickeln feinsinnige wie durchdachte musikalische Motive. Verspielt ist hier nichts. Aber tief und ausdruckstark. Dabei absolut hörbar für jedes moderne Ohr. Und prinzipiell auch tanzbar. (Wann bringt endlich jemand einen Remix heraus?)
ADHD sind durchaus auch im Jazz verwurzelt. Doch
in einem Land, das eine Insel ist und nicht einmal 300.000 Einwohner zählt, muss man flexibel bleiben. „Viele Bands arbeiten zusammen, weil es sich aus
musikalischen Gründen anbietet“, erzählt Óskar Guðjónsson. „Bei uns ist das ein wenig anders. Unsere musikalischen Hintergründe sind höchst unterschiedlich, aber wir gehören zusammen.“ In einem Interview geht er noch weiter und spricht von einer „Vogelschar, die gemeinsam fliegt, ihre Formation ändert, ihre Richtung, ihre Reihenfolge. Sie bleibt aber immer zusammen, egal in welcher Konstellation“.
Die Songs des neuen Albums „ADHD 6“ sind zwar wilder, stilistisch noch eigener als die vorhergehender Alben, aber sie befinden sich in einem eigentümlichen Flowzustand. Der Name ADHD (das bedeutet auf deutsch Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung) mag hibbelig klingen, doch das hat nichts mit der Musik zu tun, es lässt eher auf die Energie der Bandmitglieder schließen. Die Musik ist anregend, aber nicht quirlig, und energievoll, ohne chaotisch zu sein. Völlig „unschwierig“ hat sie ihre tiefen, ruhigen Momente.

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